Fernsehen
Schöne Aussicht statt Knast - mehrmals
wiederholt
Allmählich breitet sich die Erkenntnis aus, dass Arme wegen ihrer Armut hinter Gittern sitzen. Sie sind schwarzgefahren, zum wiederholten Mal, und sind angezeigt worden. Sie haben den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft nicht verstanden, den Brief vielleicht nicht gelesen oder gar nicht erhalten und deshalb auch nicht die Möglichkeiten genutzt, die Geldstrafe in Raten zu zahlen oder abzuarbeiten. Dann gibt es irgendwann den Haftbefehl. Bei einer Routinekontrolle wird ihnen von der Polizei eröffnet, dass sie gesucht werden – und kommen in Haft.
Das ist teuer und unsinnig – auch wenn diese Einschätzung kontrovers diskutiert wird. Nach einem Reformvorschlag sollen mit einem Tag in Haft zwei Tagessätze der Geldstrafe abgegolten sein, was das Problem nicht löst. Debattiert wird auch immer noch, die Leistungserschleichung – § 265a StGB – aus dem Katalog der Straftaten herauszunehmen. Es bleibt spannend.
In der ARD-Mediathek finden Sie den Film hier:
Ankündigung für die Erstausstrahlung
Ein paar Wochen hat Sergeij schon abgesessen, als er Besuch von Christian Irion bekommt. Der Sozialarbeiter der Haftentlassenenhilfe Frankfurt macht dem Gefangenen einen Vorschlag: Im Projekt Schöne Aussicht kann er seine Strafe abarbeiten, ohne Gitter, in Freiheit. Einen Platz zum Wohnen gibt es dazu. Sie werden sich schnell einig. Sergeij sitzt im Gefängnis, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlt hat; irgendwas mit Drogen. Nun wartet er, dass die Staatsanwaltschaft seinen Antrag genehmigt.
Da ist Marco schon weiter: In der Naxos-Halle, Kulturprojekt mitten in Frankfurt, packt er an, stapelt Kartons mit Material für die Malkurse, räumt auf, wenn die vorbei sind. Er hat seine gemeinnützige Arbeit schon fast hinter sich – und Angst vor der Zeit danach. Denn seine kleine Wohnung gehört zum Projekt; er fürchtet, sie zu verlieren, wenn seine Strafarbeit erledigt ist. Und auf dem Frankfurter Wohnungsmarkt hat einer wie er keine Chance.
Über 4400 Gefangene saßen am 30. September 2019 in deutschen Gefängnissen eine so genannte Ersatzfreiheitsstrafe ab (DESTATIS, Bestand der Gefangenen und Verwahrten in deutschen Justizvollzugsanstalten – Januar bis September 2019, Zeile 12 Spalte 44). Ein Gericht hat sie wegen eines kleinen Delikts nicht zu Haft, sondern zu einer Geldstrafe verurteilt, Ladendiebstahl, Körperverletzung, Drogenbesitz und vor allem Leistungserschleichung – Schwarzfahren. Das Angebot, die Strafe in Raten zu zahlen, nützt vielen nichts: Wer auf Hartz IV angewiesen ist, hat kein Geld übrig. Und einen Arbeitstag durchzustehen, erscheint manchem unmöglich. So landen Arme hinter Gittern.
Als Hessenreporter habe ich Marco begleitet bei seinem Bemühen, wieder Fuß zu fassen: bei der Arbeit, beim Termin mit seinem Sozialarbeiter, beim Putzen seiner Wohnung. Und Marco zeigt, wovor er Angst hat: Wieder im Wohnheim für obdachlose Männer am Hauptbahnhof zu landen oder auf der Wiese am Mainufer. Das wäre der Horror – zurück in die Drogenszene zu müssen, die er hinter sich gelassen hat.
Schöne Aussicht statt Knast. Ein Film von Burkhard Plemper. In der Reihe Hessenreporter. Erstsendedatum: 11. Februar 2020, 21.45 Uhr Hessisches Fernsehen. Eine Woche vorher war er schon online abrufbar.
Weitere Wiederholungen werden folgen …