Rache

…. ein faszinierendes Thema, das ich unter anderem für Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur bearbeitet habe.


Bis zum bitteren Ende?
Die Lange Nacht der Rache

 

Es gibt nur wenige Menschen, denen man zutraut, sie nicht zu haben: Rachegelüste. Vielleicht gehört der Dalai Lama dazu, als grundgütiger Mensch, weise, erleuchtet, den Wirrnissen des Alltags entrückt. Nicht vorstellbar, daß der ein Auto zerkratzt, das genau da steht, wo er gerade parken wollte. Es übersteigt schon unsere Vorstellungskraft, daß er überhaupt in die Verlegenheit kommt, nach einem Parkplatz zu suchen.

 

Der braucht sie sicherlich nicht, die Rachegedanken – im Gegensatz zu uns, den ganz normalen Menschen, die wir uns durch’s Leben schlagen, was manchmal durchaus wörtlich zu nehmen ist. Zumindest in der Phantasie malen wir uns bisweilen aus, wie wir heimzahlen, was uns angetan worden ist. Wer uns zu nahe kommt, wer uns verletzt, sei es körperlich oder durch die Mißachtung der von uns gesetzten Grenzen, soll spüren, welches Leid er verursacht hat. Manchmal bleibt es bei der Phantasie, manchmal ist sie nicht genug und wir schlagen zurück - tatsächlich oder im übertragenen Sinne. Männer – heißt es – reagieren spontan, mit Gewalt, unter Einsatz ihrer körperlichen Kräfte. Frauen dagegen – berichtet der Volksmund – handeln überlegt, strategisch oder taktisch, planen sorgfältig die Vergeltung und genießen jeden Schritt. Wie die Ehefrau, verlassen wegen der jüngeren, die sich immer wieder ausmalt, wie der ungetreue Angetraute erbleicht, wenn es klingelt und forsche Herrschaften ihm einen Ausweis unter die Nase halten: Steuerfahndung, informiert durch einen diskreten Hinweis, woher auch immer. Ein Klassiker.

 

Wir brauchen diesen Mechanismus, um uns zu schützen, uns zu behaupten in der Gemeinschaft mit anderen, um nicht unterzugehen. Wir zeigen, daß man nicht ungestraft alles mit uns machen kann, wollen die Ordnung wieder herstellen, die der andere gestört hat. Es ist ein archaisches Muster, sagt, wer der Meinung ist, mit dem Eintritt in die Zivilisation sei Rache überflüssig geworden, haben wir doch unseren Anspruch an den Staat abgegeben. Der inszeniert mit seinem Gewaltmonopol die Rache für uns im Strafverfahren. Natürlich gilt es im Gerichtssaal, den Rechtsfrieden wieder herzustellen. Ein hehres Ziel, fernab solch niederer Motive, wie Rache zu nehmen. Und doch finden die ihren Platz: Die Sühne, der Ausgleich einer individuellen Schuld, festgelegt im Strafmaß, ist dem Bedürfnis nach Rache, nach Übelzufügung geschuldet.

 

Dieses Bedürfnis haben die Opfer einer Straftat, erst Recht, wenn sie mit Gewalt verbunden war, mehr noch die anderen, die nichts abbekommen haben, aber ihrer Phantasie freien Lauf lassen, was sie dem Täter alles antun würden, wenn man sie nur ließe. Steineklopfen bei Wasser und Brot, lebenslang hinter Mauern oder gleich „Rübe ab“. Der Delinquent muß als Kristallisationspunkt herhalten für alle Ängste, alles Schlechte in der Welt, das exemplarisch an ihm abgestraft werden soll. Dem stehen Theorie und Praxis im modernen Rechtsstaat entgegen.

 

Aber auch in anders verfassten Gesellschaften ist die Rache nicht willkürlich. Sie findet innerhalb von Grenzen statt, deren Überschreiten wiederum eine Sanktion zur Folge hat. Nur wird die nicht von einem übergeordneten Staat vollzogen, sondern von demjenigen, der durch die Rache im Übermaß verletzt worden ist. Ist der Geschädigte dazu nicht in der Lage, etwa weil er Angriff oder Gegenangriff nicht überlebt hat, treten seine Angehörigen, sein Clan für ihn an.

 

Das ist der Stoff, der Spannung erzeugt – auf der Bühne in der griechischen Tragödie wie im modernen Drama, auf der Leinwand im klassischen Western wie im modernen Psychothriller. Stellvertretend für uns, die wir das allenfalls in unserer Phantasie ausleben, geht der Held über Leichen, bestenfalls im Namen des Gesetzes, wahrscheinlich eher mit dem Recht des Stärkeren, wo die Institutionen des Rechts ihm nicht Genüge tun. Der Nervenkitzel liegt in dem Dilemma des einsamen Rächers, der nicht tun darf, was alle von ihm erwarten: den Übeltäter zur Strecke bringen und damit einen Ausgleich für begangenes Unrecht herbeizuführen.

 

Wir leben nicht mehr in der Höhle und schlagen uns – für gewöhnlich – nicht mehr mit der Keule gegenseitig den Schädel ein. Die Methoden haben sich verfeinert – auch die der Rache.

 

Ein Essay für das Programmheft von Deutschlandfunk/Deutschlandradio, November 2005, S. 79

 


Die Sendung war die  "Lange Nacht".

Wenn Sie beim Sender im Archiv suchen wollen: Sie wurde wiederholt Samstag, 31. Mai 2008, 00.05 Uhr bis 03.00 Uhr, Deutschlandradio und


Samstag, 31. Mai 2008, 23.05 Uhr, bis Sonntag, 1. Juni, 02.00 Uhr, Deutschlandfunk


Die spontane Reaktion einer Hörerin:
 
Gesendet: Sonntag, 1. Juni 2008 00:55
An: Hoererservice, DRadio
Betreff: lange nacht
Liebe DLF- / DLR-Macher,
die "Lange Nacht" ist wunderbar, eine der besten Sendunge überhaupt. Für mich löst sie das ein, was Radio als Medium möglich machen kann, nämlich eine ruhige, extensive Auseinandersetzung mit Themen der Zeit oder von allgemeinem sozialen / menschlichen Interesse. Gut aufbereitet, stringent erzählt, Freiraum für Assoziationen lassend.Klasse die Lange Nacht der Rache, ich höre sie soeben das zweite Mal! Und bitte mein Kompliment an den Autor.
P.S.: Musik war von Piazzolla?!Danke für eine solche Sendung!!!
Gibt es, by the way, Möglichkeiten, einen Mitschnitt zu erhalten?
Mit Dank und besten Grüßen,
Elisabeth G.
 

Natürlich hat Elisabeth G. eine Antwort und ein Manuskript erhalten; Musik von Piazzolla war tatsächlich in der Sendung....


Neu bearbeitet habe ich das Thema Rache für die Sendung
Ohne Rücksicht auf Verluste? Rache im Alltag
Radio-Feature in der Reihe SWR2-Leben,
Mittwoch, 26. März 2008, 10.05 - 10.30 Uhr, SWR 2

 

Auch für die Zeitschrift "Psychologie Heute" habe ich einen Artikel zum Thema geschrieben.

 

Ein Häppchen zur Probe:

 

Rache? Die junge Frau auf der Straße überlegt einen Moment. „Da gibt’s ‘ne ganze Menge Gemeinheiten: Reifen aufstechen zum Beispiel....“ antwortet sie mit einem verschmitzten Lächeln, „oder Kratzer ins Auto machen, Schlüssel verstecken....“. Die kleine Gemeinheit zwischendurch, alltäglich und weit verbreitet. Ein Zeichen soll sie setzen, soll denjenigen treffen, der uns verletzt hat, soll ihn das spüren lassen, soll weh tun, weil er die Grenze überschritten hat, die uns schützen soll. Eine gesunde Reaktion, sich zu behaupten, ist sie für viele Menschen. „Rache ist ein schlechtes Gefühl“, findet dagegen ein Mann Mitte Vierzig, „das man schnell abbauen sollte.“ „Sie hat etwas mit unkontrollierter Wut zu tun“, ergänzt seine Begleiterin…..

 

Wie's weiter geht, erfahren Sie in Heft 6, Juni 2007 "Psychologie Heute".
Info: www.psychologie-heute.de